At Granny´s (2004)












english below

2004 habe ich meine Oma in Tuttlingen besucht und in ihrer Wohnung fotografiert.

Sie hat die meiste Zeit ihres Lebens zuhause verbracht. Besuch empfing sie im Wohnzimmer oder in der Küche. Über Jahre hatte sich hier nie etwas verändert, ihr Wohnzimmer wirkte fast so, als wäre irgendwann die Zeit stehen geblieben.

Meine Oma hatte schwere Schicksalsschläge erlebt. Mit 14 Jahren wurde sie schwanger und bekam mit 15 Jahren ein uneheliches Kind – meine Mutter. Bis heute wissen wir nicht, wer eigentlich der Vater meiner Mutter, mein Großvater, war - anscheinend ein Pole oder Russe. Von sich oder von ihrer Vergangenheit hat meine Oma fast nie gesprochen. Sie darauf anzusprechen, galt in der Familie als heikel – ich habe nie verstanden, warum.

Meine Oma überlebte ihren Ehemann, ihre beste Freundin, ihre zweitälteste Tochter und sogar ihre Zwillingsschwester. Anmerken konnte man ihr das nicht. Sie war zwar keine große Erzählerin, aber sie lachte gerne und ich mit ihr. Wir haben uns beide gut verstanden, etwas verband uns in der Tiefe und wir telefonierten regelmäßig.

Ihre Wohnung war ein Ort, wo ich immer hingehen konnte, immer willkommen war, ob als Kind oder als Erwachsene.

Manchmal fehlt mir dieser Ort heute - meine Oma und ihr Lachen sowieso. 

(2024)


english


In 2004, I visited my grandmother in Tuttlingen and took photos in her apartment.

She spent most of her life at home. Visitors were received in the living room or the kitchen. For years, nothing had changed here; her living room felt as if time had stood still.

My grandmother had experienced heavy blows of fate. At 14, she became pregnant and had an illegitimate child at 15 – my mother. To this day, we don’t know who my mother’s father, my grandfather, was – apparently a Pole or a Russian. My grandmother almost never spoke about herself or her past. Bringing it up was considered sensitive in the family – I never understood why.

She outlived her husband, her best friend, her second oldest daughter, and even her twin sister. You couldn’t tell it by looking at her. Although she wasn’t a great storyteller, she loved to laugh, and I laughed with her. We got along well; something connected us deeply, and we talked regularly on the phone.

Her apartment was a place I could always go to, always welcomed, whether as a child or an adult.

Sometimes I miss that place today – I miss my grandmother and her laughter even more.

(2024)